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Im Feldtest: Ein Moderator für die Hosentasche


Feedbackbloecke

Offene Kommunikation und das Einbringen von allen Perspektiven gehören zu den entscheidenden Faktoren, die ein gutes Team ausmachen. Dafür wird häufig die Hilfe eines Moderators benötigt. Im Alltag steht dieser aber nicht immer zur Verfügung. Wir haben ein Werkzeug getestet, das Teams durch gezielte Fragen zur selbständigen Reflexion über ihre Interaktionen bewegen soll: Den kleinen Moderator für die Hosentasche. Er stellt Fragen, die sonst gerne untergehen – und dennoch wichtig zur Verbesserung der Zusammenarbeit sind.


Erfolgskriterien für Meetings sichtbar machen

Immer wenn Menschen zusammenkommen, bilden sich Muster heraus, nach denen ihr gemeinsames Interagieren abläuft. Je länger die Individuen einer Gruppe zusammenarbeiten, desto mehr verhärten sich diese Muster. Im Arbeitskontext kommen sie vor allem in regelmäßigen Meetings zum Tragen: 

Ein stickiger Meetingraum ohne Whiteboard; Kollege Bernd, der immer dominiert und andere kaum gehört werden; dass alles nach dem immer gleichen Schema abgehandelt wird – dies und einiges mehr wird oft einfach akzeptiert, auch wenn es anders besser ginge und einfach möglich wäre. Wie können Gruppen diese Muster durchbrechen? Können wir den Teammitgliedern ihr Handlungspotential aufzeigen und sie zum Handeln bewegen, ohne dass eine erfahrener Coach oder Moderator eingreift? Kann vielleicht sogar das individuell empfundene Empowerment erhöht werden (Conger, Kanungo 1988)?


Unser Werkzeug: Feedbackblöcke

In einem Feldexperiment haben wir Antworten auf die oben stehenden Fragen gesucht. Unser Untersuchungsgegenstand: DIN A6 große Klebezettel, auf denen sechs Skalenfragen zur Interaktion abgebildet sind. Die Fragen sind an das Konzept der themenzentrierten Interaktion angelehnt und decken die vier Faktoren einer Gruppe ab: die Person (Ich), die Gruppeninterak­tion (Wir), die Aufgabe (Es) und das Umfeld (Globe) (Schneider-Landolf et al. 2014). Sie sind sehr allgemein  gehalten, um unterschiedliche, individuelle Interpretationen zuzulassen und damit den Nutzern etwas Raum zu geben.


Nach einem Meeting kann jeder Teilnehmer die Faktoren entsprechend seinem eigenen Empfinden auf der Skala gewichten. Die Hoffnung: Einzelne werden vielleicht hier schon veranlasst, sich auf einer Metaebene mit der Interaktionen auseinanderzusetzen. Indem die Klebezettel nebeneinander an die Wand geklebt werden, können zudem sehr einfach die unterschiedlichen Bewertungen der Gruppenmitglieder verglichen und besprochen werden. Die Idee ist eine Diskussion der Antworten mit Fokus auf die Verbesserungsmöglichkeiten. 


Das Set-Up des Feldtests

Wir wollten folgende Hypothesen überprüfen:

  1. Die Nutzung der Feedbackblöcke hat einen positiven Effekt auf die individuell empfundene Ermächtigung der Testpersonen. 
  2. Die Feedbackblöcke bewirken Veränderungen in den Routinen der Teams.
  3. Je intensiver die Nutzung der Feedbackblöcke, desto mehr Veränderungen bewirken sie. 


Das individuelle Ermächtigungs- bzw. Empowerment-Empfinden wurde mit dem aus der Soziologie stammenden, standardisierten Fragebogen nach Spreitzer (Spreitzer 2008) erfasst. Es setzt sich aus vier Indikatoren zusammen: Bedeutsamkeit (meaning), Kompetenz (competence), Selbstbestimmung (self-determination) und Einfluss (impact). Diese werden durch jeweils drei Fragen erfasst. Effekte auf die Gruppe ermittelten wir durch teilnehmende Beobachtung und anschließende Gespräche mit den Probanden. Zusammenhänge mit der Nutzungsintensität haben wir über die verschiedenen Settings in den Versuchsgruppen erfasst.


Das Feldexperiment führten wir in der IT-Abteilung eines Online-Handelsunternehmen durch. Testteams setzen sich jeweils aus sechs bis sieben Testpersonen zusammen. Alle Mitarbeiter arbeiten seit mehreren Jahren agil nach Scrum. Die Autonomie und Kollaboration wird stark betont. Alle Testteilnehmer sind es gewohnt, selbstorganisiert zu arbeiten. Wir nehmen an, dass die Empfänglichkeit für organisatorische Metathemen in diesem Umfeld höher ist als in eher hierarchisch organisierten Kontexten. Da bestimmte Faktoren so nicht dem Zufall unterlagen, ist das Setting nicht repräsentativ für alle Kontexte. Wir haben die Untersuchung daher als Quasi-Experiment durchgeführt.


Drei Versuchsszenarien

Wir haben die Feedbackblöcke an vier von fünf Scrum-Teams über einen Zeitraum von vier Wochen getestet. Das fünfte Team fungierte als Kontrollteam. Alle Testteams sollten die Blöcke nach ihren Regelmeetings im Scrum Framework benutzen: Das tägliche 15 minütige Standup, zwei Stunden Arbeitsvorbereitung pro Woche (Backlog Refinement), sowie zweiwöchentlich stattfindende Retrospektiven, Reviews und Plannings (je ca. eine Stunde) (vgl. Schwaber, Sutherland 2017). 


Zuvor haben wir drei Versuchsszenarien mit steigender Intensität definiert: 

  1. Ausfüllen der Feedbackblöcke + visuelle Darstellung der Antworten in einem Diagramm im Folgemeeting (Information über die Teambewertung des letzten Meetings)
  2. Ausfüllen der Feedbackblöcke + anschließende Diskussion der Ergebnisse im Team
  3. Ausfüllen der Feedbackblöcke + anschließende Diskussion der Ergebnisse im Team mit externem Moderator.


Szenario Nr. 2 wurde bei zwei Teams eingesetzt, die sich stark in ihrer Seniorität unterschieden, um festzustellen, welchen Einfluss u.U. die “Reife” der Mitarbeiter auf die Testergebnisse hat. Der Fragebogen zur Beurteilung des Empowerments wurde vor dem Versuchsbeginn und zum Versuchsende durchgeführt (Pre- / Posttest).


Die Ergebnisse

Unsere Hypothesen haben sich nur teilweise bestätigt:

  1. Wir konnten keine Verbindung zwischen dem empfundenen Empowerment der Testpersonen und dem Einsatz des Werkzeugs feststellen.
  2. Wir konnten Veränderungen in einigen Teams beobachten – allerdings hielten diese nur wenige Wochen an. 
  3. Die von uns beobachteten Veränderungen resultierten aus der Verwendung der Feedbackblöcke gemeinsam mit der intensiven Moderation. In dieser Ausprägung war allerdings der Moderator der maßgebliche Faktor für die Bewegung, die in der Gruppe entstand. 


Zusammenfassung

Je intensiver der Einsatz und der Diskurs in den Gruppen, desto größer die Wirkung. Die Feedbackblöcke geben gute Impulse, deren Verwertung jedoch stark von der Nutzergruppe abhängt. Je mehr Vorwissen im Bereich der Selbstwirksamkeit vorhanden ist und je mehr Motivation zur Selbstverbesserung der Nutzer mitbringt, desto sinnvoller wird das Werkzeug eingesetzt. 


Jedoch kann das Tool den Einsatz eines erfahrenen Moderators nicht ersetzen. Erst die Initiierung eines zielführenden Diskurses und der Blick von Außen auf die Gruppe brachten entscheidende Impulse für die Veränderungen der Teamroutinen. 


Ohne eine erfahrene Moderation zeigten alle Gruppen zunehmend Strategien des Widerstands gegen das Tool bzw. die zusätzliche Anstrengung, die dessen Einsatz erforderte: von “stiller Verweigerung” bis zur offenen Opposition. Dabei stellten wir fest, dass der Widerstand umso stärker war, je mehr Arbeitseinsatz das Werkzeug der Gruppe abverlangte. Alle Gruppen waren letztendlich nur für einen kurzen Zeitraum bereit, ihre Komfortzone zu verlassen – es sei denn, eine gute Moderation zeigt immer wieder den Nutzen des Investments auf. Mit den Feedbackblöcken war es daher ein bisschen wie in einer Therapie oder im Coaching: Der Nutzer muss den Bedarf selbst erkennen und tätig werden, damit die Maßnahme Wirkung entfalten kann. Erfahrungen und Vorkenntnisse unterstützen dabei den Prozess.


Dank an Evgenia Danilevic für die Steuerung des Experiments.



  • Schneider-Landolf, Mina, Jochen Spielmann, Walter Zitterbarth (2014): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). 
  • Schwaber, Ken; Jeff Sutherland (2017): The Scrum Guide. In deutscher Version unter: https://www.scrumguides.org/docs/scrumguide/v2017/2017-Scrum-Guide-German.pdf 
  • Spreitzer, Gretchen (2008): Taking Stock: A Review of More Than Twenty Years of Research on Empowerment at Work, In: Barling: Organizational Behavior (Handbook): 54-72.
  • Thomas, Kenneth W. Velthouse, Betty A. (1990): Cognitive Elements of Empowerment: An „Interpretive“ Model of Intrinsic Task Motivation, In: Academy of Management Review, Vol. 15, No. 4, pp. 666-681.

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