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Wie lassen sich Konflikte provozieren? The Trucking Game Revisited


Titel-TruckingGame

Erlebnisorientiertes Lernen basiert (natürlich!) auf Erlebnissen, also echten eigenen Erfahrungen. Doch wie schaffen wir es, Kursteilnehmer gezielt in eine Situation zu versetzen, um ihnen ein ganz bestimmtes Erlebnis zu vermitteln? Kann uns die experimentelle Sozialpsychologie dabei helfen?


Für unser geplantes Setup benötigen wir quasi einen Konflikt auf Knopfdruck. Da wir auch nach längerem Tüfteln keine passende Lösung gefunden hatten, fingen wir an zu recherchieren und stießen schließlich auf das Trucking Game aus dem Jahr 1962 (vgl. Deutsch & Kraus, 1962 [1]). Die Forscher Morton Deutsch und Robert Krauss wollten herausfinden, warum Verhandlungen, die Menschen führen, oftmals scheitern, und welchen Einfluss die Intensität der Kommunikation dabei hat. Dazu entwickelten sie eine Spielsimulation, durch die analysiert werden kann, inwiefern sich wechselseitige Drohpotenziale und unterschiedliche Möglichkeiten der Kommunikation auf das Verhalten der einzelnen Konfliktparteien auswirken.


Das Setup

Zwei Versuchspersonen – Acme und Bolt – schlüpfen in einer Simulation in die Rolle eines Spediteurs und sollen Ware möglichst schnell und preiswert vom Start- zum Zielpunkt transportieren (siehe Abbildung). Die benötigte Transportzeit entspricht dem Verlust von fiktivem Geld. Das Ziel besteht darin, die Waren möglichst rentabel auf dem kürzesten Weg zu liefern.

Der Gegenspieler hat die gleiche Aufgabe, aber sein Start- und Endpunkt liegen in entgegengesetzter Richtung. Es gibt eine kurze einspurige Straße, die die Start- und Endpunkte beider Parteien verbindet. Auf dieser Straße können die Lastwagen jedoch nicht aneinander vorbeifahren, sondern sie blockieren sich gegenseitig. Das führt zu einer Unvereinbarkeit der Ziele und damit zu Konflikten. Die kurze Straße ist die knappe Ressource, um die beide Spieler konkurrieren.


Beide Parteien haben außerdem die Möglichkeit, ihrem Gegenüber zu drohen und ihn zu behindern, indem sie jeweils eine Schranke am Ende der kurzen Strecke schließen können. So kann der anderen Partei das Erreichen des Zielpunkts auf der kurzen Strecke erschwert beziehungsweise verunmöglicht werden.


Alternativ existieren zwei längere Privatstrassen, die die Lastwagen exklusiv nutzen können, ohne sich dabei in die Quere zu kommen. Aber die Nutzung dieser längeren Strecke ist kostspieliger und immer mit einem kleinen finanziellen Verlust behaftet. 


Im Jahr 2018 wurde das Experiment von Dario Nalis, Astrid Schütz und Alexander Pastukhov als sogenannte Bamberg Variante weiterentwickelt und um die Möglichkeit einer Win-Win-Situation ergänzt (vgl. Nalis, Schütz & Pastukhov, 2018 [2]). Bei der Durchführung stellte sich erneut heraus, dass ohne weiteres Zutun durch die Moderation, in der Regel nicht kooperatives, sondern kompetitives Verhalten überwiegt und der Konfliktfall statisch die Regel ist.


Quelle: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2018.00138/full


Leider waren 1962 sämtliche Tonaufnahmen des Original-Experiments abhandengekommen. So fehlte uns jedweder Eindruck, was damals tatsächlich im Labor gesprochen wurde und geschah. Deshalb entschieden wir uns dazu, das Experiment in der 3. Variante noch einmal selbst durchzuführen, um eigene Erfahrungen damit machen und daraus unsere eigenen Erkenntnisse ziehen zu können. Gemeinsam mit einem kleinen Team von Software-Entwicklern haben wir das Experiment als Online-Game nachgebaut.

Unser Quasi-Experiment

Wir luden verschiedene Personen aus unserem näheren Umfeld ein, an unserem Experiment teilzunehmen. Die Auswahl an Personen war also nicht zufällig, sondern richtete sich nach der Frage, wer aus unserem Umfeld denn unserer Ansicht nach überhaupt an sowas teilnehmen würde. Pro Spiel brauchten wir zwei Personen. Es gelang uns, 18 Menschen anzuwerben. Insgesamt haben wir 9 Durchläufe à 20 Runden gespielt. Um die Spielzeit auf ca. 45 Minuten zu verkürzen, haben wir das Spieltempo verdoppelt und die Kosten pro Zeit entsprechend angepasst. Während des laufenden Experiments machten wir uns – wie im Originalexperiment – Notizen zu den Fahrzeiten, den Strategien und dem Verhalten der Spieler.


Die Durchführung des Experiments wurde von uns folgendermaßen variiert:

  1. Die Spieler kennen sich und den Moderator und dürfen beliebig viel miteinander sprechen. Verhalten kooperativ (2x)
  2. Die Spieler kennen sich nicht, aber den Moderator und dürfen beliebig viel miteinander sprechen. Verhalten kooperativ (4x) und kompetitiv (1x)
  3. Die Spieler kennen sich nicht und den Moderator nicht und dürfen nur während der Fahrt miteinander sprechen. Verhalten kompetitiv (2x)


Wir stellten fest, dass die Mehrheit unserer Probanden die Kooperation mit dem Gegenspieler suchten und nicht in die Konfrontation gingen. Im Vergleich zum Original-Experiment fallen bei uns die mittleren Gewinne von Acme und Bolt pro Runde zum Ende hin deutlich besser aus:

Natürlich ist unsere Studie auf Grund der geringen Testdurchläufe nicht repräsentativ. Außerdem gibt es weitere wichtige Einflussfaktoren, die sich maßgeblich auf das Ergebnis auswirken können (Research bias / Forschungsverzerrungen):

  • Nicht-Stichprobenfehler: Unsere Stichprobe (n<10) ist viel zu klein gewesen und die Testpersonen wurden so gewählt, dass sie von vornherein als verzerrt und damit nicht als repräsentativ einzustufen ist.
  • “The Good-Subject-Effect”: Die Versuchspersonen (unsere Freude und Bekannte) versuchen hilfreich zu sein und wollen unsere Erwartungen / Hypothese bestätigen (School of Collaboration).
  • Stichprobenverzerrung (Sampling Bias): Die Art und Weise, wo und wie wir die Teilnahme an unserer Studie beworben haben. 


Ungeklärt bleibt auch die Frage, ob und wie aktuelle kulturelle Einflüsse („neue, woke“ Zeit, mehr Orientierung hin zur Kooperation) das Ergebnis beeinflusst haben.


Unser Fazit

Durch die Beschäftigung mit dem Trucking Game konnten wir herausfinden, dass Konflikte mit hoher Wahrscheinlichkeit dann entstehen, wenn unterschiedliche Parteien auf die Nutzung gemeinsamer Ressourcen angewiesen sind, sich dabei wenig oder gar nicht miteinander austauschen können, und darüber hinaus die Möglichkeit haben, den Erfolg der anderen Seite zu behindern, bzw. diese zu sanktionieren. Zwar hängt es letzten Endes trotzdem immer an der konkreten Reaktion der Individuen. Jedoch steigt die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts, je stärker die Konkurrenzsituation und die Sanktionsmöglichkeiten, und je geringer die Kommunikation untereinander. Wir nehmen daraus mit, dass wir mit diesen Mitteln sehr wahrscheinlich einen Konflikt provozieren können. Dabei müssen wir jedoch künftig stärker auf verzerrende Einflussfaktoren achten, die das Ergebnis maßgeblich mit beeinflussen können.


  • [1] Deutsch, M., and Krauss, R. M. (1962). Studies of interpersonal bargaining. J. Conflict Resolut. 6, 52–76. doi: 10.1177/002200276200600107
  • [2] Nalis D, Schütz A and Pastukhov A (2018) The Bamberg Trucking Game: A Paradigm for Assessing the Detection of Win–Win Solutions in a Potential Conflict Scenario. Front. Psychol. 9:138. doi: 10.3389/fpsyg.2018.00138

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